Gut vernetzt – regional und europaweit

Ein Gespräch des GRÜNEN Fraktionsvorsitzenden Andreas Ewald mit dem Stadtverordneten Philip Krämer, der als Mitglied des Deutschen Bundestags für Darmstadt und die umliegenden Landkreise zuständig ist, über die gemeinsame Mobilitätsplanung von Stadt und Region.

Andreas Ewald (AE): Aktuell habe ich den Eindruck, dass es auf der Straße eher ein Gegeneinander als ein Miteinander gibt. Wie denkst du, können wir wieder zu mehr Akzeptanz der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden untereinander kommen?

Philip Krämer (PK): In den vergangenen Jahren hatten wir oft die Situation, dass die verschiedenen Mobilitätsträger als Gegensatz betrachtet wurden. Das ist in meinen Augen falsch. Es muss vielmehr darum gehen, den bestmöglichen Mobilitätsmix zu erreichen, der für die jeweilige Stadt oder Region sinnvoll ist. Auf einer Straße ausschließlich Raum für Autos vorzugeben, schränkt andere Mobilitätsträger wie Fußgänger*innen und Radfahrende ein. Von daher gilt es nach meinem Dafürhalten, die Schärfe aus der Debatte rauszunehmen, aber trotzdem an einem gleichberechtigten Verkehr zu arbeiten.

AE: In Darmstadt arbeiten wir schon seit 2011 an der Verkehrswende. Unser Ziel ist es, die Nutzung des Umweltverbunds von 65 % (2018)* auf 75 % zu erhöhen. Mehr Rad-, Fuß- und Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) wird dazu führen, dass die Straßen freier werden für die, die sie nach wie vor benutzen müssen, also zum Beispiel Handwerksbetriebe, Pflegekräfte und Arbeitnehmer*innen aus dem Landkreis, bei denen es noch keinen attraktiven ÖPNV gibt. Darmstadt steht ja nicht für sich allein, täglich kommen rund 76.500 Menschen zum Arbeiten in die Stadt, 32.800 pendeln aus. Daher können die Verkehrsfragen nur zusammen mit dem Umland gelöst werden. Und das passiert bereits. Gemeinsam wurde die Stradadi GmbH gegründet, um attraktive Straßenbahnverbindungen in die verschiedenen Teile des Landkreises zu schaffen. Außerdem sind wir dabei, die überregionalen Radwege auszubauen. Wo und wie kann der Bund hier noch weiter unterstützen?

PK: Der Bund könnte bei den Nutzen-Kosten-Untersuchungen (NKU), bei denen konkret berechnet wird, ob ein Mobilitäts- oder Verkehrsprojekt förderfähig ist, die Kriterien noch weiter verändern. Ökologische Verkehrsformen sollten dabei zumindest gleichberechtigt mit dem Straßenbau auf ein Niveau gestellt werden. Der zweite wichtige Aspekt ist, erst mal als Realität anzuerkennen, dass wir im Bereich Stadt – Land einen Zielkonflikt haben: Einerseits verlagern sich zunehmend Arbeitsplätze in den urbanen Raum, wo die Mieten immer teurer werden. Auf der anderen Seite haben wir kein gutes ökologisches Verkehrsnetz, das es den Menschen aus dem eher ländlichen Raum ermöglicht, zu ihrem Arbeitsplatz in der Stadt zu kommen.

An der Lösung dieses Problems müssen wir weiterarbeiten, beispielsweise mit Konzepten wie Großer Frankfurter Bogen, das Tarek Al-Wazir gerade in der Metropol­region Rhein-Main umsetzt. Dabei werden Wohnungsbauförderung und umweltverträg­liche Mobilitätsplanung miteinander verknüpft, sodass die Menschen von außerhalb gut mit der S-Bahn nach Frankfurt einpendeln können. Auch Darmstadt profitiert von dem Förderprogramm.

AE: Bei uns wurden in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Wohngebiete neu ausgewiesen. Wir hatten dabei das große Glück, dass uns gleich mehrere Konversionsflächen zur Verfügung standen. Weitere Quartiere können zum Beispiel auf dem Mess- und dem Marienplatz, dem Kuhnwaldt-Areal, dem Gelände der alten Klinik in Eberstadt oder in etwas weiterer Zukunft der Starkenburg-Kaserne noch folgen. Ähnlich wie beim Großen Frankfurter Bogen sollten wir aber auch gemeinsam mit dem Landkreis schauen, wie im Umland von Darmstadt entlang ökologischer Verkehrsinfrastruktur noch mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann.

PK: Darmstadt ist eine sehr attraktive Stadt. Dadurch wollen viele Menschen hier wohnen. Das ist ja erst mal eine tolle Sache. Es führt aber zu einem sehr angespannten Wohnungsmarkt und dazu, dass wir im Grunde mit Neubauten nicht wirklich hinterherkommen.
Grundlage GRÜNER Politik ist es aber, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben soll, dort eine Wohnung zu finden, wo er oder sie leben will, unabhängig davon wie viel Geld verdient wird. Das ist auch unser Credo hier in Darmstadt in der vergangenen Dekade gewesen. Und es hat gut funktioniert, wenn man sich anschaut wie viele neue Wohnungen entstanden sind.

Gleichwohl ist es natürlich so, dass wir keine Insel sind, die unabhängig von allen anderen agieren kann. Darmstadt ist eingefasst in eine Region. Deshalb muss es in meinen Augen auch darum gehen, gerade in Südhessen noch mal mehr kommunalübergreifend miteinander ins Gespräch zu kommen, wie hier Lösungen gefunden werden können in Hinblick auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und Wohnungen für Studierende. Dass das sehr gut an Mobilitätsachsen erfolgen kann, zeigt auch das Beispiel Odenwaldbahn. Gerade an dieser Schienenverbindung ist seit der Inbetriebnahme viel attraktiver Wohnraum entstanden, sowohl für junge Familie als auch für Pendler*innen nach Frankfurt und nach Darmstadt. Das ist in der Tat eine Möglichkeit, wie man angespannte Wohnungsmärkte in Zusammenarbeit mit der gesamten Region entlastet.

AE: Ein weiteres Infrastrukturthema, bei dem sichtbar wird, dass wir im hochverdichteten Südhessen an Probleme stoßen, ist die neue ICE-Strecke, die von Frankfurt nach Mannheim geplant wird. Hier hat sich die Stadt gemeinsam mit weiteren an der Trasse liegenden Kommunen sowie den Landräten der Kreise Darmstadt-Dieburg, Bergstraße, Groß-Gerau und Odenwald, dem hessischen Verkehrsminister sowie der Industrie- und Handelskammer (IHK) in einem langen Verfahren auf eine Trassenvariante geeinigt, hinter der auch die GRÜNEN in Darmstadt stehen. Aktuell sind wir dabei, als Region Forderungen an das Bundesverkehrsministerium aufzustellen, die die konkrete Umsetzung betreffen. Im Rahmen der parlamentarischen Befassung wirst du als Bundestagsabgeordneter die Möglichkeit haben, dich im Verfahren direkt einzubringen, worum geht es dabei?

PK: Wichtig ist erst einmal anzuerkennen, dass das Beteiligungsverfahren dazu geführt hat, dass wir jetzt bei einer Variante sind, mit der alle beteiligten Kommunen weitestgehend leben können. Und deshalb ist es auch im Sinne dieses demokratischen Beteiligungsprozesses wichtig, an der Vorzugsvariante festzuhalten und sie umzusetzen.

Jetzt stellt sich die Frage, wie man das Ganze punktuell noch verbessern kann, insbesondere im Bereich Lärmschutz und Ökologie. Und da ist es so, dass ich als Bundestagsabgeordneter in Zusammenarbeit mit dem Magistrat der Stadt Darmstadt zwei Vorschläge gemacht habe. Das ist einerseits die Verlängerung der Lärmschutzmaßnahme im Süden, im Bereich der Heimstättensiedlung, durch die Weiterführung des Tunnels, in dem die ICE-Trasse geführt wird, bis an die A5. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, erweiterte Lärmschutzmaßnahmen im Bereich der Siedlung Tann zu errichten. Beides sind kluge Maßnahmen, für die ich mich einsetzen werde. Am Ende hängt das aber an der Frage, inwieweit der Bund und die Deutsche Bahn bereit sind, weiteres Geld zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, es sind richtige Maßnahmen und deshalb werden wir weiter daran arbeiten. Und dann wird es hoffentlich im nächsten Jahr zu einer Entscheidung kommen.

Festzuhalten ist aber, dass die ICE-Anbindung eine tolle Aufwertung der hiesigen Mobilität darstellt. In Zukunft kann man jeweils einmal pro Stunde direkt in den Norden und in den Süden fahren. Damit ist Darmstadt in das gesamtdeutsche Netz eingebunden wird. Zudem muss als positiv eingeschätzt werden, dass wir durch die Maßnahme den Güterverkehr raus aus der Stadt bekommen und die Main-Neckar-Bahn für den Regionalverkehr frei wird.

AE: Darmstadt ist also nicht allein in der Region, sondern mit der ICE-Anbindung auch deutschland- und europaweit gut vernetzt.

*Die Studie „Mobilität in Deutschland“ wird alle fünf Jahre durchgeführt. Die aktuelle Befragung läuft gerade.

 

Hintergrund

Anschluss an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz

Die Anbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs an die Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim und damit an das ICE-Hochgeschwindigkeitsnetz ist ein entscheidender Schritt für Darmstadt und die umliegenden Landkreise. Nach einem langjährigen Beteiligungsprozess hat die Deutsche Bahn dafür 2020 eine Vorzugsvariante (II.b) festgelegt. Umwelt-, Fach- und Wirtschaftsverbände, Initiativen, Städte und Gemeinden sowie Landtags- und Bundestagsabgeordnete waren darin eingebunden.

Mit der Entscheidung für die Trassenvariante II.b erfüllt die Deutsche Bahn (DB) viele Forderungen unserer GRÜNEN Fraktion:

  • Die ICE-Trasse verläuft an der Heimstätte weitestgehend im Tunnel.
  • Der Westwald wird soweit wie möglich geschont und eine Zerschneidung weitestgehend vermieden.
  • Guter Lärmschutz und eine Entlastung vom Güterverkehr sind gewährleistet.

Für die Menschen in Darmstadt und der Region bedeutet der Bau der Trasse einen starken Zugewinn an Zugverbindungen – und zwar sowohl im Fern- als auch im Nahverkehr:

Anschluss an das europäische Schienennetz

Zahlreiche Ziele in Deutschland und den Nachbarländern können zukünftig schnell, bequem und direkt per Zug erreicht werden. Es ist denkbar, dass die Fahrt nach Paris dann nur noch drei Stunden dauern wird. Damit bietet sich auch eine umweltfreundliche Alternative zum Flugverkehr.

Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs

Auch für den Nahverkehr ergeben sich viele Verbesserungen. Die Fahrzeit mit dem Zug nach Wiesbaden beträgt künftig nur noch eine halbe Stunde. Zudem werden die bestehenden Schienenstrecken, insbesondere die überlastete Main-Neckar- sowie die Riedbahn, für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) freigemacht, sodass die Kapazitäten erhöht werden können.

Trassenvariante mit geringer Lärmbelastung

Die Trassenvariante II.b stellt für Darmstadt und insbesondere auch für weite Teile der Heimstätte eine geringe Lärmbelastung dar, denn die Strecke wird überwiegend im Tunnel unter der Eschollbrücker Straße geführt. Darüber hinaus setzt sich unsere GRÜNE Fraktion für zusätzliche Lärm- und Waldschutzmaßnahmen ein.

Da in Kürze das Thema in Berlin im Rahmen einer Parlamentarischen Befassung weiter behandelt wird, wurden im Juni 2023 noch einmal konkrete Forderungen gegenüber dem Bund und der Deutschen Bahn formuliert und mit einem Antrag in der Stadtverordnetenversammlung besiegelt. Dabei haben wir insbesondere das Wohl der Menschen in der Heimstätte und der Siedlung Tann im Blick:

  • Wir fordern einen bergmännischen ICE-Tunnel bis an die A5 und die Errichtung der Hauptstrecke im Bereich des Darmstädter Kreuzes vollständig in bergmännischer Bauweise.
  • Außerdem wollen wir größtmöglichen Schallschutz an den Bestandsstecken und Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederaufforstung der betroffenen Waldränder.

Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass der Bund durchaus bereit ist, längere Tunnellösungen zu finanzieren.

Darmstadt wird mit der Anbindung durch die Vorzugsvariante und den von uns geforderten Nachbesserungen als Standort gewinnen, gleichzeitig ist es ein entscheidender Schritt hin zu mehr klimafreundlicher Mobilität. Denn der Schienenverkehr ist das Rückgrat der ökologischen Verkehrsinfrastruktur für die nächsten 100 Jahre.

Andreas Ewald | Fraktionsvorsitzender

 

Hintergrund

Erweiterung des Straßenbahnnetzes in den Landkreis

Die Stadt Darmstadt hat innerhalb der letzten zwei Jahre fünf Beschlüsse zu Taktausweitungen und für neue Straßenbahn-Linien getroffen. Die Maßnahmen haben ein Gesamtvolumen von über acht Millionen Euro pro Jahr.

Dank der Verlängerung der Linie 2 dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof bis zur Lichtwiese heute nur noch 17 Minuten. Die durchgehende, klimafreundliche Verbindung ist Teil des neuen, von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Bus- und Straßenbahnkonzeptes der HEAG mobilo. Auf allen Strecken gibt es mehr Direktverbindungen und eine dichtere Taktung: In der Hauptverkehrszeit kommen Bus und Bahn mindestens alle zehn Minuten. Das Angebot in den Abendstunden wurde verstärkt.
Mit der geplanten Verlängerung der Linie 3 über die Cooperstraße hinunter bis zur Heidelberger Straße wird das neue Wohnquartier Ludwigshöhviertel an das Straßenbahnnetz angebunden. Von der betrieblichen Verknüpfung der beiden Trassen profitieren auch die Fahrgäste aus den benachbarten Stadtteilen Eberstadt und Bessungen.

Zusätzlich wurde gemeinsam mit dem Landkreis die Stradadi-GmbH gegründet, um die Planung der Straßenbahnlinie Weiterstadt-Darmstadt-Roßdorf-Groß Zimmern zu forcieren.

Für die Straßenbahnverlängerung nach Wixhausen liegt seit Juni eine Machbarkeitsstudie vor, die jetzt zur weiteren Beratung an die Fachausschüsse, den Ortsbeirat Wixhausen und die Stadtverordnetenversammlung weitergereicht wird. Die darin ermittelte Vorzugsvariante würde sowohl große Teile des Stadtteilkerns von Wixhausen als auch das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung mit dem zukünftigen internationalen Beschleunigerzentrum FAIR an das Darmstädter Straßenbahnnetz anbinden.

Andreas Ewald | Fraktionsvorsitzender

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