„Es ist ein Glücksmoment für die Stadt.“

Die Vorsitzende des Kulturausschusses, Hildegard Förster-Heldmann, im Gespräch mit dem ehemaligen Oberbürgermeister und Kultur­dezernenten, Jochen Partsch, über die Strahlkraft der Mathildenhöhe und die Zukunft der städtischen Kultur.

Hildegard Förster-Heldmann (HFH): Anfang Juni hast Du das Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe nach mehrjähriger Bauzeit der Öffentlichkeit vorgestellt. Unsere Stadtkrone strahlt in neuem Glanz.

Parallel lief das fast ebenso lange Bewerbungsverfahren für den Welterbe-Titel. Im Juli 2021 hat die UNESCO dann offiziell bestätigt: Die Mathildenhöhe ist ein herausragendes Beispiel visionärer Gestaltungskunst und von außergewöhnlicher Bedeutung für die gesamte Menschheit. Gerade hast Du die Pläne für das dafür laut UNESCO-Statuten notwendige Besucherzentrum in einer Informationsveranstaltung den Bürger*innen vorgestellt. Für alle, die in den Gesamtprozess nicht direkt involviert waren, wird jetzt greifbar, wofür wir – und vor allem Du – in den vergangenen zwölf Jahren gearbeitet haben. Das ist schon ein besonderer Moment, oder?

Jochen Partsch (JP): Ja, es ist ein Moment der Freude, aber: Es war auch ein besonderer Prozess. Eine besondere Zeit, in der wir uns ganz neu der Mathildenhöhe zugewandt haben und klar geworden ist, welcher Weltschatz hier in Darmstadt beherbergt ist.

Dabei ist bemerkenswert, dass es zur Sanierung des Ausstellungsgebäudes von Joseph Maria Olbrich keinerlei vorbereitende Planungsunterlagen gab, als wir anfingen. Die Sanierung war aber notwendig, weil keine Ausstellungen mehr durchgeführt werden durften. Die innenklimatischen Bedingungen waren so schlecht, dass kein Versicherungsunternehmen mehr bereit war, die Kunstwerke, die für die Ausstellungen kuratorisch zusammengestellt werden, zu versichern. Es gab also den Zwang zu handeln, aber es gab tatsächlich keine Pläne!

Wir haben dann damit begonnen, diese Pläne parallel zum Welterbeprozess zu erarbeiten. Es ist vermutlich ein einmaliger Vorgang, dass sich eine Stadtgesellschaft auf den Weg macht, Welterbe zu werden, und dieses Welterbe während des Prozesses als Baustelle präsentiert. Das war schon ziemlich gewagt, aber wie sagte Großherzog Ernst Ludwig zurecht: „Habe Ehrfurcht vor dem Alten und Mut, das Neue frisch zu wagen.“

Und wir hatten Ehrfurcht vor dem, was auf der Mathildenhöhe steht, aber auch den Mut die Sanierung parallel zum Welterbe-Prozess zu machen. Und es ist, wie ich finde, ein Glücksmoment für die Stadt.

Wenn wir uns das heute anschauen: Alle Künstlerhäuser sind saniert. Das Große Haus Glückert wird der Öffentlichkeit in einer ganz neuen Art und Weise vorgestellt. Das große Ausstellungsgebäude ist energetisch saniert und barrierefrei zugänglich. Mit dem neuen, wunderschönen Café an der Westseite hat es einen zusätzlichen Begegnungsort erhalten. Der Platanenhain wird komplett saniert sein und es ist gelungen, mit Unterstützung durch Bundesmittel und der großzügigen Spende der Familie Merck ein Besucherzentrum auf den Weg zu bringen.

Ganz nebenbei haben wir für das PEN-Zentrum Deutschland am Fiedlerweg einen neuen, repräsentativen und kommunikativen Ort gefunden, wodurch wir gleichzeitig Räume für den Verein Kunst Archiv Darmstadt im Literaturhaus freimachen und zur Verfügung stellen konnten. Durch die Umsiedlung des Deutschen Polen-Instituts von Haus Deiters und Haus Olbrich in den Herrenbau des Residenzschlosses 2016 haben wir einerseits das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt gehalten, mit viel besserer personeller Ausstattung, und gleichzeitig mit dem Angebot des Hauses Olbrich auch den Standort der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung für Darmstadt gesichert. Es gab am Anfang meiner Amtszeit ja sowohl aus Berlin als auch aus Frankfurt massive Abwerbungsversuche. Es hat Einsatz gebraucht, die renommierte Institution in Darmstadt zu halten. Aber auch damit waren wir erfolgreich. Viele Initiativen haben sich beteiligt und es war auch ein kultureller Bürgerbeteiligungsprozess.

„Wir hatten Ehrfurcht vor dem, was auf der Mathildenhöhe steht, aber auch den Mut die Sanierung parallel zum Welterbe-Prozess zu machen.“

 

Die erste Ausstellung nach der Sanierung mit Werken der städtischen Kunstsammlung wird aller Voraussicht nach im Herbst eröffnet. Das hätte ich gerne noch als Kulturdezernent gemacht. Aber es geht ja nicht um mich, es geht um die Zukunft der städtischen Kultur und die Strahlkraft der Mathilden­höhe. Denn die ist nicht allein für die Kunstfreund*innen von Bedeutung, sie ist auch für die touristische und wirtschaftliche Entwicklung Darmstadts bedeutsam, insbesondere die der Innenstadt. Schließlich sind es von dort nur zehn Minuten hoch zur Mathildenhöhe und umgekehrt.

HFH: Die Mathildenhöhe hat viele Ressourcen und Kräfte gebunden. Zurecht, wie Du gerade ausführlich geschildert hast. Dies war aber explizit kein Hinderungsgrund, parallel dazu zahlreiche andere Kultureinrichtungen und Institutionen – große und kleine – zu sanieren, zu unterstützen, ebenfalls mit moderner Technik auszustatten oder wie das Kunstdepot ganz neu zu bauen.

2012 haben wir in unserer damaligen Fraktionszeitung die Vision einer Kulturachse mitten durch die Stadt beschworen, heute ist sie da und es macht Spaß, da­rauf zu wandeln und die vielen verschiedenen Kulturorte und Kulturformen zu entdecken, einige hast Du bereits genannt. Es gibt aber noch viele weitere, wie zum Beispiel die Kunsthalle, das Staatstheater, das Theater Mollerhaus, das darmstadtium, die Centralstation, das Institut für Neue Technische Form (INTeF) und den Verein „Kultur einer Digitalstadt“. Welche Impulse davon für die Innenstadt ausgehen, wird in den nächsten Jahren spürbar werden, oder?

JP: Jedem ist klar, dass um die Zukunft der Innenstädte gekämpft werden muss. Das ist in fast allen deutschen Innenstädten so, auch in Darmstadt. Während der Corona-Lockdowns und ihren unmittelbaren Auswirkungen auf Einzel­handel und Gastronomie ist es noch deutlicher geworden, in Darmstadt ganz aktuell auch durch die Aufgabe von der
Galeria-Kaufhof-Filiale am Weißen Turm.

In dem von uns beauftragten Innenstadtentwicklungs­konzept werden die Chancen der Darmstädter Innenstadt sehr präzise beschrieben. siehe S. 4 Diese müssen jetzt ent­wickelt werden. Es geht um den Einzelhandel, es geht um die Gastronomie, es geht um die Innenstadt als Mobilitätsdrehscheibe, als Ort der gesellschaftlichen Teilhabe, Stichwort Bürgerrathaus, aber auch um die Innenstadt als Treffpunkt sowie um Gesundheitsversorgung, also das Klinikum, das wir im Grunde ganz neu erfunden haben. Aber in Darmstadt geht es natürlich ganz besonders um die Kultur. Das ist etwas, das wir klar herausstellen müssen: In der Darmstädter Innenstadt kann man viele interessante, dicht beieinander liegende Kulturorte besuchen.

Allein im Landesmuseum lässt es sich gut einen ganzen Tag verbringen, um die wunderbaren Ausstellungen, aber auch die Dauerausstellung anzuschauen. Nebenan hat das INTeF einen neuen Platz bekommen. Auch das Schlossmuseum sieht heute ganz anders aus als noch vor zehn Jahren. Die Kunsthalle ist in einem völlig anderen Zustand und wurde nicht zuletzt durch die Umgestaltung des Vorplatzes deutlich aufgewertet. Gerade hat die Komplettsanierung des Literaturhauses begonnen. Auch sie wird bis Ende des Jahres fertig sein.

HFH: Wie vielschichtig und umfassend wir GRÜNE Kultur begreifen, zeigt auch die Unterstützung soziokultureller Zentren wie der Bessunger Knabenschule, dem HoffArt Theater und der Oetinger Villa durch die Stadt, aber auch durch die Förderung des Landes Hessen. Alle drei Einrichtungen sind für die Menschen in den jeweils umliegenden Stadtteilen wichtige Identifikationspunkte und bieten mit ihren genreübergreifenden Veranstaltungsprogrammen im wahrsten Sinne des Wortes Kultur für alle und von allen.

Zu dieser Vielfalt gehört auch die lokale Musikszene. Für Amateur-Bands ist es aufgrund der Lautstärke und der dadurch entstehenden Nutzungskonkurrenz besonders schwer, Räume zu finden. Aktuell betrifft das die rund 25 Bands, die die ehemalige Glasbläserei als Probe-Location nutzen und denen aufgrund von Brandschutz-Auflagen vom Vermieter gekündigt wurde. Wir haben in einem fraktionsübergreifenden Antrag in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen zu helfen, damit die Bands weiter bestehen können. Wie ist der Stand?

JP: Der Antrag ist gut, denn bei aller Hochkultur und international renommierter Kultur – da wären auch noch das Jazzinstitut und das Internationale Musikinstitut mit den Ferienkursen für Neue Musik zu nennen – lebt die Stadt natürlich von der Subkultur und der Freien Szene.

 

„Bei aller Hochkultur und international renommierter Kultur lebt die Stadt natürlich von der Subkultur und der Freien Szene.“

 

Deshalb sind wir diesbezüglich ebenfalls aktiv. Ich habe mich mit den Bands bereits getroffen. Wir sind dabei zu untersuchen, ob in der Innenstadt temporär Räume nutzbar gemacht werden können. Das gerade gestartete Leerstandsmanagement ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt. Möglicherweise kommt das leer stehende Stadthaus in der Grafenstraße, wo auch das Dokumentationszentrum zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma einziehen soll, in Frage. Das ehemalige Klinikum Eberstadt werden wir uns ebenfalls noch einmal zusammen mit den Bands anschauen und klären, was dort machbar ist.

HFH: Das ist schon etwas Besonderes in Darmstadt: Wir alle sind gut miteinander vernetzt und wenn es Probleme, Anregungen oder Ideen gibt, kommen wir schnell und unbürokratisch miteinander ins Gespräch, um zu helfen, zu vermitteln und zu unterstützen.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Darmstädter Akzentsetzung zugunsten der weiblichen Kultur. Georg Büchner-, Luise Büchner-, Hermann Kesten-Preis, alle drei wichtigen Literatur- und Publizistik-Auszeichnungen gingen 2022 an Frauen. Außerdem unterstützen wir die Initiative Frauen Leben Freiheit, die jeden Mittwoch in der Innenstadt demonstriert, in ihrem Widerstand gegen das iranische Mullah-Regime und seine Gewalt gegenüber der eigenen Bevölkerung. Im Dezember folgte die Stadtverordnetenfraktion dem Vorschlag des GRÜNEN Stadtverordnetenvorstehers Yücel Akdeniz und übergab ihre traditionelle Weihnachtsspende der Initiative. Mit dieser Haltung, werden wir auch weiterhin Politik machen. Denn der Kampf für Freiheit ist eine Aufgabe von uns allen.

 

Update 21.07.2023

Suche nach Proberaum-Alternative dauert an

In der Stadtverordnetenversammlung vom 20. Juli 2023 hat der Magistrat seinen Bericht über die Unterstützung der Bands bei der Suche nach neuen Proberäumen vorgelegt. Daraus geht hervor, dass seit Juni fünf alternative Standorte untersucht wurden. Darunter auch das oben erwähnte alte Bürgeramt in der Grafenstraße sowie das ehemalige Klinikum in Eberstadt. Keines der untersuchten Gebäude kommt aktuell als Proberaum-Location infrage. Die Suche läuft jedoch weitere, eine Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten in der Hilpertstraße 31, wo sich auch das Technologie- und Gründerzentrum HUB31 befindet, wird geprüft.

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